Die Angst zu versagen

Wenn wir unser Leben revue passieren lassen und dabei unsere Wünsche, Bedürfnisse und Ziele auflisten, lassen wir oft die Momente des Versagens aus. Versagen gilt als Schwäche und die gestehen wir uns nur ungern ein.

Andererseits, ist Versagen das Risiko, das wir inkauf nehmen müssen, wollen wir ein leidenschaftliches Leben führen.

Unsere moderne westliche Kultur verleitet uns dazu, weich (soft) zu sein. Dies trifft nicht nur auf die männliche Generation, sog. 'Softies', zu. Wir werden, ob Mann oder Frau, dazu verleitet, Wellness, Wohlsein und Komfort zu suchen. Gegenteiliges sollen wir tunlichst vermeiden. Weisheit, die wir aus schlechten Erfahrungen ziehen können, gilt nicht als erstrebenswert. Das vermittelte Trugbild sagt uns: Es ist möglich in einer Welt der Leichtigkeit zu leben, Versagen lässt sich vermeiden - Wenn unser Leben von dem Idealbild abweicht, dann stimme etwas mit uns nicht.

Nachgerade nehmen wir den Weg des geringsten Widerstandes, bleiben beim Bekannten. Wir meinen, die Kontrolle zu haben indem wir in fest umgrenzten, sicheren Orten bleiben.

Winston Churchill war eine große Führungspersönlichkeit, und meinte: 'Erfolg ist die Fähigkeit, von Versagen zu Versagen zu gehen, ohne den Enthusiasmus zu verlieren.' Nach dem 2. Weltkrieg wurde er geschasst. Wir können daraus zweierlei lernen:

  • der Lohn für die Fortentwicklung der Persönlichkeit hin zu einem ganzen, vollständigen Menschen mag nicht von Aussen zugereicht werden, und
  • wenn doch, dann kann der Lohn von kurzer Dauer sein.

Wir müssen unseren persönlichen Fortschritt auch persönlich wertschätzen lernen. In Krisenzeiten müssen wir unseren Mut und Widerstandsfähigkeit selbst anerkennen. Sobald wir diese Selbstachtung erlernt haben, und praktizieren, sind wir nicht mehr der 'Gnade' Anderer ausgeliefert - egal was sie tun, lassen oder denken!

Vielen fehlt bei ihrer Entwicklung hin zum Erwachsensein die Vorbereitung. Bei Versagen entsteht eine Gelegenheit. Die nämlich, dass im Versagen ein Potential für weiteres persönliches Wachstum steckt, und aus den Erfahrungen zu lernen - gestärkt hervorzugehen. Nicht jeder erkennt dieses Potential. Manch böse Erfahrung veranlasst einige, aufzugeben - aufzugeben ohne sich von dem Niederschlag zu erholen. Manche sind dabei schon vorher zerbrechlich gewesen und sind es danach umso mehr. Es fehlt die Kraft, von dem Niederschlag wieder auf die Beine zu kommen.

Im Laufe vieler Jahre habe ich Männer und Frauen kennengelernt, die von Krisen gebeutelt waren. Manche erleben ihre erste Krise am intensivsten ('the first cut is the deepest'). Mitten im Leben werden sie von einer Krise schier überwältigt. Bis dahin verlief es ohne größere Schwierigkeiten. Sie meinen, von den Widrigkeiten des Lebens verschont gewesen zu sein. Ihre Lebensstrategien schienen gut zu funktionieren, als würde 'der Becher an ihnen vorüberziehen'.

Auf direkte Ansprache hin sagten viele, dass sie alles getan hätten, um Lebenskrisen auszuschliessen: positive Sozialisierung in der Vorschule, Fleiß und gute Noten in der Schule, die richtige Berufsausbildung oder Universität, den/die richtigen LebenspartnerIn, berufliche Laufbahn und Familienplanung.

Solche Lebensstrategie geht mit einer Vermeidungsstrategie einher. Man bleibt auf der 'sicheren Seite', innerhalb einer Komfortzone. Der momentane Status wird genossen und Selbstzufriedenheit macht sich breit. Eine Introspektive, die Innenbeschau oder Selbst-Reflektion, ist vielen fremd. Treten größere Probleme auf, ist die gängige Übung die, sich der Abstumpfung mit dem Fernseher hinzugeben oder sich mit Ersatzbefriedigung wie Essen, Trinken oder gar Drogen zu betäuben - statt die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und aus den Geschehnissen zu lernen, zu wachsen oder zu hinterfragen.

Die Macht der Medien ist dabei in ihrer Mitwirkung nicht zu unterschätzen. Die Werbung suggeriert uns die heile Welt und Personen, die sich mit dem Alltag nicht auseinandersetzen müssen. Die sind äusserlich perfekt 'gebaut', fit, sitzen sicher 'im Sattel', sind voller Selbstvertrauen, haben ständig genügend Liebende und Freunde um sich.

Die große Lüge:
In einer idealen Welt zu leben, in der einem alles 'in den Schoß fällt' (zumindest 'einfach' ist) und widrige Umstände (wie Versagen) nicht auftreten, ist möglich.

Glauben wir den werblichen Darstellungen in all ihrer täuschenden Vielfältigkeit, dann stellen wir fest, dass uns etwas fehlt (Werbeziel erreicht!). Ein Blick dahinter verrät, dass solcherlei Werbung äusserst kurzlebig ist, die Realität nur bruchstückhaft vermittelt und das Vorgestäuschte nicht von Dauer ist. Sie vermittelt Trugbilder und nicht die Realität des Lebens, des Alltags.

Tritt dann eine Krise auf, führen Vermeidungshaltungen und -strategien zu einer Wahrnehmungsverengung und zur Verstärkung irriger Annahmen und Einstellungen. Das Bemühen, innerhalb der Komfortzone zu bleiben, ist genauso bedauerlich wie eingrenzend. Manche lehnen die Verantwortung für ihr Leben, ihre Taten, ihre Beziehungen oder ihre Jobs ab. Sie schieben die Schuld anderen zu, statt ihre eigene Mitbeteiligung an der Misere zu erörtern.

Manche treten den Rückzug an und schränken ihre Welt auf geringstmögliche Beteiligung ein, ziehen sich 'ins Schneckenhaus zurück'. Andere wechseln ihre Jobs oder brechen Beziehungen ab, wenden sich gleichsam von den Problemen ab, verdrängen, in der Hoffnung ein Besseres zu finden (Flucht und Verdrängung).

Solcherlei Mechanismen sind so zerbrechlich wie auf Dauer ungeeignet und verlogen.

Persönliches Wachstum passiert in Schritten, es sind Abläufe notwendig. Stellen Sie sich die ersten Schritte eines Kleinkindes vor. Welcher Kraftakt, welcher Mut! Immer wieder von Neuem: Versuch und Irrtum - stehen, fallen, stehen, gehen, fallen. Aber es dauert nicht allzulange, dann geht das Kind sicher, lernt zu rennen - sogar im Zickzack usw. Sollte ein Kleinkind bis zum Erwachsenenalter warten, bis es das Gehen lernt? Würden wir es dann schneller erlernen? Wohl kaum, denn wir hätten bis dahin übergroße Ängste aufgebaut.

In Schritten passiert es, das persönliche Wachstum. Veränderungen bedürfen mehr oder weniger geordneter Abläufe. Geben Sie sich die Zeit und die Gelegenheiten: zweite Schritte vor, ein Schritt zurück oder 'mal links des Weges gehen, erkundend. Variieren Sie, machen Sie Ihre persönlichen Erfahrungen und lernen Sie daraus, als würden Sie eine neue Fertigkeit erlernen. Üben Sie und erlauben Sie sich, Fehler zu machen. Zeit braucht es, denn eingefahrene Gewohnheiten, Verhaltensweisen und Einstellungen bedürfen der Mühe um überwunden oder überformt zu werden bis sie zu einer neuen Authentizität führen.

Jeder macht Fehler, jeder fällt beim Gehen (im Leben) mal hin. In der Niedergeschlagenheit vergessen wir womöglich zeitweilig, dass es zuvor gute Zeiten gegeben hat. Fehler machen und Versagen sind integrale Bestandteile des Lebens. Eine Lehre aus diesen Erfahrungen ziehen, hiesse dass wir uns positiv fortentwickeln, wenn wir versagen. Diese Erkenntnis baut Selbstvertrauen auf - ein Notwendiges, um unsere Lebensziele zu erreichen.

Der Lebensweg, den wir damit einschlagen, mag für uns bisweilen Betrübliches beinhalten. Aber wir können damit das Leben voll auskosten - authentisch und leidenschaftlich!

Als Nachsatz ein Zitat von Mahatma Gandhi:
"Ich kenne den Weg: er ist gerade und eng. Er ist wie die Schneide eines Schwertes. Ich jubele, wenn ich darauf gehe. Ich weine, wenn ich ausrutsche. Gottes Wort ist: Der, der strebt, verdirbt nicht. Ich habe vorbehaltloses Vertrauen in dieses Versprechen. Auch wenn ich aus meiner Schwäche tausendmal versage, mein Vertrauen darin werde ich nicht verlieren."